Freitag, 21. November 2025

Von Messern, Gabeln und einer Zuckerzange. Oder: vergeblicher Aussteuer-Widerstand

In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts herrschte weitgehend elterliche Erziehungsgewalt und - *Basta!* - elterliche Letztwort-Hoheit sowieso. Deshalb diskutierte ich im Jugendalter zwar ausgiebig aber letztlich vergeblich mit meiner Mutter darüber, wie mit meinem sauer und selber verdienten Geld zu verfahren sei.

Ich plädierte für eine erneute Anlage in Reisen samt Equipment - so hatte ich alle  meine Wanderreisen inclusive Ausrüstung und benötigter Kleidung durch Hausaufgabenaufsichten und das Austragen von Zeitungen und Werbebroschüren zusammenverdient. Als aber das Kellnern über eine Faschingssaison in recht kurzer Zeit einen Tausender in meine Schülerinnentaschen spülte, bestand meine Mutter auf einer “sinnvolleren Anlage für die Zukunft”. Sprich: Anschaffung von Aussteuer.

Derartige Geldverschwendungen wären mir selber niemals in den Sinn gekommen und ich kämpfte hart um das mühsam verdiente Geld. Womit wir wieder bei der elterlichen Entscheidungshoheit wären …

An den folgenden Dialog erinnere ich mich sehr genau:

“Ich brauche keine Aussteuer! Ich  heirate sowieso nicht!”  

Erwiderung meiner Mutter: “Du und deine Gäste müssen auch von irgendwas essen, wenn du nicht verheiratet bist!”

Keine Chance, mich durchzusetzen und so entschied ich mich für eine platzsparende Aussteuer-Anlagen-Variante: ein Essbesteck. Wir suchten den mit allen erdenklichen Geschirr-, Besteck- , Topf- und sonstigen Haushaltsartikeln vollgestopften Haushalts- und Krimskrams-Waren-Laden in der überschaubaren Innenstadt meines Geburtsörtchens  auf. 

Dort hatten sie drei 12er-Komplettbestecke vorrätig. Die “Sonderbesteck-Bestandteile” wie Suppenkelle, Salatbesteck, Tortenheber etc. und … ZUCKERZANGE! (s. Foto oben - kein Mensch au dieser Welt braucht eine Zuckerzange … oder etwa doch?) mussten nachbestellt und nachgekauft werden. So wurde es peu à peu gekauft und die mit rotem Samt ausgeschlagenen Kisten wanderten nach und nach in eine dunkle Schrankecke. Für später. Harrend der Gästescharen und (Schwieger-)Familien. Den Ernst des Lebens im Hintergrund mahnend. Die Hausfrauenpflichten.

Ich hatte beschlossen - wennschon, dennschon - nicht auf den Preis zu achten sondern mich für dasjenige zu entscheiden, das mir am besten gefällt. Es war natürlich das teuerste der drei und kostete in der Tat ziemlich genau den kompletten Tausender. Das Besteck blieb meine einzige Disskussionsniederlage in Sachen Aussteuer und siehe! frau kommt auch ohne durch’s Leben ohne zu verhungern, zu verdursten oder zu erfrieren.

Nur wenige Jahre später zog ich 18jährig  ohne weitere Profi-Aussteuer in die erste Studentenbude in Münster. Wo von Festtafeln mit zwölf zierlich die Zuckerzange balancierenden Gästen keine Rede sein konnte. Einige Jahre blieb das Besteck mit den roten Samtkisten noch bei meinen Eltern, doch irgendwann beschloss ich, es schlicht zu nutzen. Inzwischen hatte sich herauskristallisiert, dass ich vermutlich wirklich eher nicht oder wenn, dann später heiraten und vermutlich niemals den Typ Gäste an großen Tafeln versammeln würde, an denen edles Besteck vonnöten ist. Dazu ermangelte es schon an Wohnungsgrößen.

Aber in der Tat hatte meine Mutter in einem Punkt recht: Löffel unterschiedlicher Größen braucht’s trotzdem, Messer und Gabeln sind ebenfalls ab und zu  nützlich auch bei Haushalten mit Hang zum “mit den Fingern essen” und ohne nennenswert ausgefeilte Tischmanieren flexibel verwendbar. Lediglich die Zuckerzange … aber Schwamm drüber!  Bevor ich mir weiter in Mensa und Co. geklautes Blechbesteck antat, holte ich doch lieber die Aussteuer ab und setzte sie im Alltag ein. 

Es ist mir ans Herz gewachsen,  mein unter massivem Nötigungsdruck in jungen Jahren gekauftes  Besteck. Vermutlich hätte ich mir einige Jahre später ein völlig anderes Design ausgesucht. Aber sei’s drum - ich mag es. Lange Jahre wenn nicht gar Jahrzehnte sah es auch immer weiter aus wie neu und ungebraucht. Doch dann kamen die Spülmaschinen und darauf hatten die Hersteller des ansich hochwertigen Bestecks nicht gesetzt.


Fünfzig Jahre später weisen einige oder die meisten der Teile Farbänderungen und bunte Schlieren auf; beim genauen Hinschauen zeigen sich kratzige Spuren im nicht mehr ganz so glanzvollen Metall. Lediglich die Zuckerzange blitzt wie neu. Insbesondere die Messer - sie sind bzw. waren lobenswert scharf; man konnte bzw. kann ein Brötchen (für die Bayern: eine Semmel) auch nach Jahrzehnten der Nutzung und des Spülens noch glatt und ohne Teigmatsch oder unnötige Krümelei zu produzieren  durchschneiden. 

Leider drang irgendwann Wasser in die am Griff vorhandene Naht und sie brachen. Zu meinem Leidwesen sind inzwischen nur noch fünf der ursprünglich zwölf Besteckmesser vorhanden. Und auch ihnen droht der Tod durch Auseinanderplatzen des Griffs. Von allen anderen Bestandteilen ist reichlich vorhanden. Zumal auch der Gatte ein sechsteiliges Besteck mit in unsere späte Ehe einbrachte. Jungs wurden vermutlich nie dazu gezwungen, ihr sauer verdientes Geld für Aussteuer rauszuschmeissen … 

Es ist mir komplett egal, dass die Gattenmesser komplett anders aussehen als mein Besteck. 🍴 Da bin ich anspruchslose Chaosnatur und mixe skrupellos alles durcheinander. Dummerweise schneiden die  von seiner Mama beim Auszug mitgegebenen Messer grottenschlecht. Taugen zu nicht viel mehr als zum Butter schmieren. Dabei isst der Gatte gar keine Butter …

Natürlich wäre ich bereit, passende Messer nachzukaufen. Habe stundenlang Internetseiten mit alten Bestecken durchforstet und dabei festgestellt: es gibt massenhaft davon und von einigen der gängigen, die jeder bei irgendwem - sei es Eltern, Schulfreund oder sonstigen Einladungen - schon mehrfach gesehen und genutzt hat, kann man noch heute Ersatz kaufen. Doch meins habe ich nicht nur nie im Leben irgendwo nochmal gesehen; es findet sich auch bei aller Mühe nirgendwo im Internet.  Wen wundert’s, wo ich doch - nicht nur geschmacklich - ziemlich oft neben dem Trend lebe …



Die Kästen mit dem roten Samt existieren nicht mehr. Einzige Hinweisspur ist die Gravur in der Messerklinge. Der Aufdruck “SMS” bedeutet wohl “Stahl-Messer-Stahl … der Rest bringt nicht weiter. Vielleicht sollte ich in einem der vielen Besteckmuseen weiterrecherchieren? Andererseits: inzwischen gibt’s auch ziemlich günstige Sonderangebots-Besteckmesser, die anständige Schneiden haben. 


🍴



P. S. inspiriert von Haldewitzka-Martins nostalgischem Beitrag zu “Senfkristall”